Iris Trübswetter

Rätsel gibt auch die Serie „Herzen“ auf, die auf der Form eines eleganten symmetrischen Herzens beruht, wie man es für Liebeserklärungen bemüht, auf Spielkarten abbildet oder gar zum Plätzchenausstechen verwendet. Diese Herzform ist an den Anschnitten erkennbar, und bildet dann durchgehend den Körper der Skulptur. In einzelnen Bögen gezogen, unterschiedlich zusammengesetzt, raffiniert über Kippachsen in der dritten Dimension sich wie Schlangen aufrichtend. Die Herzform erweist sich als komplex, annähernd zwei Halbkreise und ein Dreieck, die schmale Spitze unten, die breiten Schultern oben. Eine raffinierte geometrische Durchdringung, die das Material Beton in scheinbarer Leichtigkeit in schlangenähnlicher Wendigkeit darstellt, und durchaus bewusst auch inhaltlich die Assoziationen der Herzform zur Diskussion stellt: Das Herz ein Sinnbild der Emotion schlechthin,
der Liebe, der Güte, der Aufregung, des Schmerzes, Sacré Coeur, das durchbohrte Herz Mariens, das gebrochene Herz, herzliche Grüße, herzlichen Dank. Als junger Künstler, der noch nicht so lange die Akademie absolviert hat, ist Christian Heß mit seiner Arbeit erstaunlich zeitfremd. Die laute Kunst der neuen figurativen Malerei, die teilweise auch in die Bildhauerei überschwappt, ist genauso wenig sein Thema wie die neuen Medien, die gerade von jungen Künstlern vehement aufgegriffen werden. Von der Keramik kommend, eroberte er für sich das außerordentlich neutrale Material Beton. Der konkreten Kunst nahe stehend, vermied er stets Abbilder zu schaffen, ja dies geht soweit, dass er selbst geometrische Formen wie etwa Kreise bei seinen Zeichnungen verfremdet. Wahrnehmungsprozesse in Gang zu setzen und zu hinterfragen ist ein zentrales Thema der Kunst. Hier setzt Heß mit seinen Strategien des Verbergens an: so wie sich das Profil in den Ringen der Serie „Stammbaum“ verbirgt, verbirgt sich der Kreis im Oval der Zeichnung, verbirgt sich die emotionale Komponente des Herzens in der Starre des Betons, verbirgt sich die Vielzahl der kleinen Formen in der großen. Wir lernen das Muster der Unordnung
in der Ordnung zu sehen, die verborgene Komplexität einer Form zu begreifen, das Offensichtliche zu hinterfragen. „Wir haben weder außergewöhnliche Dinge noch neue Praktiken gesehen, denn wir haben weder das Spektakuläre noch das Neue gesucht,“ schrieb die Kuratorin Stephanie Mosdon Tremblay im Katalog zur manifesta 4 . Auch hier ging es um junge Kunst, die wert ist gezeigt zu werden. Vielleicht passt dieses Diktum auch auf das minimalistische Werk von Christian Heß, wenn nicht spektakulär so doch interessant und notwendig und geprägt von unverwechselbaren eigenen Ideen.